Wie kann eine offene Beziehung Eifersucht und Verliebtheit aushalten?

Verlieben und Eifersucht in offenen Beziehungen

Ups, ich hab mich verliebt - Katastrophe und Chance!

Die größte Angst haben viele Paare am Anfang einer offenen Beziehung vor der Möglichkeit, dass sich der Partner oder die Partnerin außerhalb der Beziehung verlieben könnte. Egal, wie ihr Eure offene Beziehung lebt, das Risiko, dass Gefühle zu anderen Menschen entstehen, werdet ihr nicht vollständig ausschließen können.

Schließlich trifft man sich ja nicht mit "unsympathischen Monstern", sondern meist mit Menschen, die gefallen und irgendwie interessant und sympathisch sind. 


Mal ganz abgesehen von der Beziehungsform einer offenen Beziehung, kann man sich ja auch am Arbeitsplatz, im Freundeskreis etc. verlieben. Dass eine offene Beziehung Eifersucht erlebt, ist somit keine Seltenheit. Es passiert eben - muss aber nicht die Katastrophe für eine Beziehung sein.

 

Hier soll es also darum gehen, wie man mit dem Thema "Verlieben" so umgehen kann, dass die offene Beziehung trotz dabei entstehender Eifersucht weiter funktionieren kann.

Könnt Ihr das Risiko einer Verliebtheit ausschließen?

Besonders am Anfang einer offenen Beziehung oder wenn eine Partner*in große Ängste mit der Öffnung verbindet, sind einige Vereinbarungen auf jeden Fall sinnvoll. Sie können zwar keine Garantien gegen das Verlieben außerhalb der eigenen Beziehung geben, aber Sie können einen Rahmen bilden, in dem die Angst davor minimiert wird. Im besten Fall können sie in einer konkreten Situation das Fundament für einen guten Umgang mit der Situation bilden.  

Gute Vereinbarungen geben das Gefühl eines geschützten Raumes (Beziehungshaus). Außerdem ist es immer einfacher einen zu eng gesteckten Rahmen zu erweitern, wenn beide das wollen, als einen geöffneten Bereich wieder zu schließen. Was ich konkret mit Vereinbarungen meine, ist kein "Du darfst- Du darfst nicht" Katalog an Regeln - näheres dazu findet Ihr in meinem allgemeinen Artikel zu offenen Beziehungsformen

Einige Beispiele für Regeln und Vereinbarungen , die das Risiko sich zu verlieben verringern (sollen):

  • die Häufigkeit der Kontakte zu einer Person werden begrenzt (z. B. wird ausgemacht, dass nach dem 5. Treffen, kein weiteres stattfindet)
  • die Frequenz der Außen-Kontakte wird begrenzt (z. B. nur 1x im Monat)
  • die Art des Kontaktes wird festgelegt (z. B. es darf sich nur "zum Sex" getroffen werden, andere Aktivitäten, Restaurantbesuche u.ä., werden ausgeschlossen)
  • Übernachtungsverbot ("geschlafen wird im eigenen Bett")

Was tun, wenn Gefühle entstehen, mit denen man nicht gerechnet hat?

Diese und ähnliche Regeln sind natürlich keine Garantien dafür, das Entstehen von Gefühlen auszuschließen. Ihr werdet auch merken, dass sie teilweise unpraktikabel werden können. Sie sollten also innerhalb der Partnerschaft nicht als in "Stein gemeißelt" angenommen, sondern an die speziellen Situationen angepasst werden. 

Die wichtigste Regel, meiner Meinung nach, ist ein offener Umgang mit dem Auftreten von Gefühlen. So kann das Paar sofort reagieren und das Vertrauen zueinander wird trotz der Situation gestärkt.

Entstehen Gefühle ist es gut, nicht zu übereilt zu reagieren und damit die Belastung der Beziehung noch schwerer zu machen. Ihr solltet versuchen Eure Partner*innen und ihre jeweilige Situation im Blick zu behalten und Verständnis für die andere Seite aufbringen. 

Vorschnelle Reaktionen auf der "verliebten" Seite

  • Die fatalste Reaktion ist das vorschnelle Beenden der Kernbeziehung. Dies geschieht oft in der Annahme, dass etwas mit der Beziehung nicht stimmen kann, wenn so etwas passiert. Oder in der Verliebtheit angenommen wird, der/die Geliebte sei der bessere Lebensgefährte. 
  • Häufiger ist der erste Impuls, diese Verliebtheitsgefühle zu verdrängen oder sie umzudeuten ("ach, ich mag die andere Person einfach besonders gern, das hat nichts zu bedeuten"). Meist behält man dann diese Gefühle für sich. Schließlich will man die Parterin, den Partner nicht beunruhigen oder traurig machen. Aber natürlich will man auch den Kontakt zum "neuen Geliebten" nicht verlieren. Dadurch kann eine sehr unehrliche und aufgeladene Situation entstehen, die der Beziehung mehr schaden kann als die Verliebtheit selbst.
  • Natürlich kann man auch sofort die Beziehung zu dem neuen Menschen beenden. Dies kann eine Lösung sein (vielleicht auch aufgrund von Absprachen in der Kernbeziehung). Die Gefühle werden nur dadurch nicht sofort aufhören. 

Vorschnelle Reaktionen auf der "nicht verliebten" Seite

  • Ist der oder die eigene Geliebte in eine andere Person verliebt, kommen häufig sehr starke Eifersuchtsgefühle und Ängste hoch, die dann ungebremst auf das Gegenüber oder auch die neue Kontaktperson "abgeschossen" werden. 
  • Man tendiert dazu, den Kontakt zur betreffenden Person zu verbieten. Was aber die Gefühle für die andere Person natürlich nicht löscht. Dies kann unter Umständen so stark frustrieren, dass der*die Partner*in von der Kernbeziehung weggetrieben wird - die Probleme werden also ungewollt vergrößert-
  • Auch wird häufig die Beziehungsform: "offene Beziehung" als Ganzes in Frage gestellt, in der Annahme, dass es "sonst ja nicht passiert wäre". 

Ansatzpunkte für eine gemeinsame Lösung



Keine Eifersucht in offenen Beziehungen?

Es ist ein Mythos, dass Eifersucht in "richtigen" offenen Beziehungen oder polyamoren Beziehungen nicht auftritt.  

 

Mir ist das viel zu einfach gedacht. Eifersucht kann immer dann auftreten, wenn etwas im eigenen Selbstbewusstsein oder der eigenen Beziehung aus dem Gleichgewicht gerät. Das ist vollkommen unabhängig von der jeweiligen Beziehungsform.

 

Die Eifersucht kann sich in offenen oder polyamoren Beziehungen z.B. auf solche Themen richten:

  • Zeit, die einem mit dem*der Partner*in fehlt
  • Dinge, die der Beziehungmensch nur mit anderen teilen kann
  • ausgemachte/ implizite Regeln werden wegen der neuen Person verändert
  • neue Partner*innen versuchen die Ursprungsbeziehung auseinander zutreiben
  • eine*r bekommt mehr Aufmerksamkeit (mehr Flirts, mehr Kontakte)
Tritt in einer länger bestehenden offenen oder Polybeziehung auf einmal Eifersucht auf, ist dies meist ein Anzeichen für andere Themen in der Partnerschaft oder auch im Leben der eifersüchtigen Person.  
Beide sollten versuchen herauszufinden, woher die Gefühle kommen und worauf sie vielleicht hinweisen wollen. 
Es kann helfen: 
  • mehr Zeit miteinander zu verbringen
  • besondere Aktivitäten nicht nur mit anderen Partner*innen zu teilen und somit den Alltag zu durchbrechen
  • Regeln ggf. neu zu verhandeln, zu konkretisieren oder für einen gewissen Zeitraum (Beruhigungsphase) zu ändern

Das Risiko, dass man sich in einer offenen Beziehung verlieben kann, seid Ihr gemeinsam eingegangen und solltet dann auch gemeinsam daran arbeiten, dass die Situation gemeistert werden kann.

 

Wie die Lösung aussieht, liegt ganz bei Euch - es ist nur wichtig eine zu finden, die von Euch beiden getragen wird.

Dies alles kann die Verliebtheit nicht "wegmachen" und ist auch keine Anleitung dafür, wie Ihr da "gut wieder raus" kommt. Aber es sind ein paar Erfahrungen, die die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen können.

Ehrlichkeit, Ehrlichkeit, Ehrlichkeit

Die beste Vorsorge ist meiner Meinung nach, von Anfang an eine sehr weitreichende Ehrlichkeitskultur miteinander zu entwickeln. Sie schafft die Sicherheit, dass man sofort davon erfährt, wenn ungewöhnliche Gefühle auftreten. Der*die Partner*in ist sofort einbezogen und fühlt sich nicht hintergangen. Es ist schließlich auch ein Kompliment an die gemeinsame Liebe, dass man so ehrlich zu einem Menschen sein kann. So kann man gemeinsam sofort eine Strategie für "das Problem" entwickeln. Das Kind fällt nicht so leicht in den Brunnen. 

Als nicht-verliebte Partnerin sollte man ebenso ehrlich sein, und Eifersucht und Ängste formulieren. Der*die "Verliebte" kann dann darauf eingehen, Rücksicht nehmen und es dem*der anderen dadurch leichter machen. 

Unbedingte Ehrlichkeit nimmt der Verliebtheit auch ein wenig an Kraft und Geheimnis - und damit an Reiz. Sie wird nicht zu hoch stilisiert und nimmt damit nicht mehr Raum ein als sie verdient. 

"Verliebt sein" ist ein unkontrollierbarer, wunderschöner, zeitlich begrenzter Zustand 

(Fast) jede*r kennt den Zustand der Verliebtheit und weiß wie unkontrollierbar und angenehm aufregend er ist. Aus dieser Erfahrung heraus, solltet Ihr wissen, dass man diesen Zustand nicht einfach abstellen kann. Den "Knopf zum Ausschalten" haben wir uns alle schon einmal gewünscht, aber den gibt es nicht. Will/Muss man vom Partner eine Trennung von dem/der Geliebten verlangen, sollte man verstehen, dass dies unglaublich schwer fällt und sollte eine gewisse Zeit der Trauer zulassen. 

Ein noch größerer Vertrauens- oder Liebesbeweis, der Eure Bindung noch enger machen kann, ist es, sich mit dem Partner, der Partnerin zu freuen und diesen Zustand genießen zu lassen. Das fällt den meisten Menschen sehr schwer und ist auch nur bei einer sehr starken Vertrauensbasis zwischen den Partnern möglich. Es bietet aber einen neuen, einzigartigen gemeinsamen, der die Beziehung noch einzigartiger (und damit weniger austauschbar) macht.

 

Verliebtsein ist nicht gleich Liebe. In vielen Fällen geht sie vorbei. Es ist also die Frage, in wie weit man durch übereiltes, extremes Reagieren mehr zerstört als es eine kurze Verliebtheit wert war. 

Höheres Risiko - aber auch bessere Chancen

Offene Beziehungen haben im Zusammenhang mit auftretenden Gefühlen zu anderen Menschen und Eifersucht vielleicht ein höheres Risiko als monogame Paarbeziehungen, aber auch einige Vorteile im Umgang mit so einer Situation.

 

Stärkende Faktoren in einer offenen Beziehung 

  • Wahrscheinlich habt Ihr Euch schon im Vorfeld der Öffnung ein paar Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn..
  • Eifersucht ist in vielen offenen Beziehungen ein beständiges Thema. Man kennt sich und den anderen ziemlich genau.
  • Paare, die eine offene Beziehung in Betracht ziehen, haben oft eine längere Vorgeschichte mit anderen Tief- und Rückschlägen, die sie gemeistert und als Paar stark gemacht haben
  • In vielen offenen Beziehungen gibt es eine ebenso offene Kommunikationskultur. So ist es einfacher gemeinsam eine Lösung zu finden.
  • Man hat als Paar mit der offenen Beziehung etwas sehr besonderes geschaffen, was in einer neuen Partnerschaft nicht so leicht wieder zu erreichen wäre.
Also keine Angst - Ihr bekommt das hin!


Wenn Ihr es allein nicht schafft...

Manchmal kommt man aus der verfahrenen Situation, aber nicht mehr allein heraus. Die Gespräche werden zu Streits. Man quält sich gegenseitig mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen. Oder nach einer Verliebtheit, lebt eine*r  in ständiger Angst, dass diese Situation wieder und wieder passieren könnte... 

 

In einer Paartherapie versuche ich, Euch wieder zu Eurer Beziehung zurückzubringen:

  • Planen, wie Ihr mit einer ähnlichen Situation in Zukunft umgehen könntet
  • Vertrauen neu aufbauen
  • Eifersucht begrenzen
  • Herausfinden, ob Ihr Eure (offene?) Beziehung weiterführen könnt und auf welche Weise
Mehr zu Paarberatung...

Keiner kann die Zeit zurückdrehen - keine Schuldzuweisungen

Schuld hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen. Beide gemeinsam tragen die Verantwortung für ihre Beziehung. Weder hat der*die Verliebte Schuld an den entstandenen Gefühlen, noch kann der*die andere etwas dafür, dass die Situation entstanden ist. Vorwürfe bringen nichts in dieser Situation. Sie gefährden Eure Beziehung und halten nur Probleme und keinerlei Lösungen bereit.

Ängste, Traurigkeit und Eifersucht sind ok

Eine offene Beziehung zu haben, heißt nicht keine Verlustängste zu haben. Manche meinen Eifersucht wäre in einer offenen Beziehung fehl am Platz. Ich finde das nicht. Eifersucht zeigt schließlich auch, dass man etwas in Gefahr sieht, das einem wichtig ist. Also redet mit dem*der verliebten Partner*in darüber, wie Ihr Euch fühlt und schluckt es nicht hinunter, "weil man in einer offenen Beziehung nicht eifersüchtig sein darf". Durch langes Hinunterschlucken, hören die Ängste nicht auf. Irgendwann wird es sowieso aus Euch herausplatzen und dann vielleicht in einer Intensität, mit der Eure Beziehungsperson nicht umgehen kann.

Der*die  "Verliebte" sollte sich den Ängsten des Gegenübers stellen und versuchen ihm diese zu nehmen. Es kann sein, dass viele Fragen gestellt werden, vielleicht sogar Wut und Zweifel an der Beziehung aufkommen. Zeigt Eurem*Eurer Liebsten, dass Ihr zwar gerade wahnsinnig verknallt seid, sie aber trotzdem die wichtigste Person in Eurem Leben ist.