In einem Polyamorie-Blog habe ich einmal gelesen:
"Freunde Dich mit dem Gedanken an, dass Du Dich in einer polyamoren Beziehung in eine Situation begibst, die der eines Albtraums, in dem Du nackt im Supermarkt stehst, verdammt ähnelt".
Das ist vielleicht ein klein wenig übertrieben, aber trotzdem macht diese Art der Beziehung viele der eigenen Unsicherheiten und Ängste sichtbar und präsentiert sie Dir (und anderen) sehr deutlich - wie durch eine Lupe. Das kann sehr Angst einflößend sein...
Ein Beispiel:
Meine Partnerin hat eine neue Freundin. In ihrer Gegenwart fühle ich mich permanent unwohl und angespannt, obwohl sie sehr freundlich und lieb zu mir ist. Schaue ich nun (durch die Lupe) genauer hin, worauf das zurückzuführen ist, entdecke ich Neid, Missgunst, Angst in mir. Diese neue Partnerin wiegt vielleicht sehr viel weniger als ich, treibt massenweise Sport und ist beruflich unglaublich erfolgreich. Daneben fühle ich mich zu dick, langweilig, unbeweglich und ärgere mich darüber, dass ich keinen finanziell erfolgversprechenderen Karriereweg eingeschlagen hab (Unsicherheiten). Warum sollte meine Partnerin mit so jemand langweiligen wie mir zusammen sein wollen? Natürlich wird sie mich wegen ihr verlassen! (Ängste)
Wo ist nun der Mut-Aspekt?
Er liegt darin, all diese "schwachen Gedanken", dieses jetzt "so lächerlich kleine Ich":
Und das alles ohne die Hoffnung darauf, dass die Partner*in die neue Beziehung beendet, damit ich mich besser fühle und meine Unsicherheiten wieder dahin vergraben werden, woher sie kamen: Mut zur Verletzlichkeit! Verletzlichkeit ist unangenehm für jeden, aber der Mut sich ihr zu stellen und auch sie zu zeigen führt in der Regel zu mehr Nähe in Beziehungen und kann neue Möglichkeiten eröffnen den eigenen Unsicherheiten entgegenzutreten, ihre Muster zu verstehen und zu verändern:
Eine nicht zu vernachlässigende Facette, die ebenso Mut erfordert, ist es, die allgegenwärtige Bewertung der eigenen Beziehung von außen zu ertragen und sich dagegen immun zu machen. Dies gilt im Übrigen für alle alternativen Beziehungsmodelle:
Jede*r, die*den man trifft , führt in der Regel eine andere Art von Beziehung (häufig monogamer Natur), hat aber definitiv eine Meinung über die Zukunftsfähigkeit/Sinn/ etc. Deiner Beziehung und in vielen Fällen ist diese mindestens kritisch.
Der Mut besteht jetzt hier nicht (nur) darin, sich in eine Verteidigungsposition drängen zu lassen und permanent seinen gewählten Lebensstil zu erklären. Sondern darin, auch in schwierigen Momenten an den nicht ohne Grund gewählten L(i)ebensweg und die eigene Einschätzung zu glauben, auch wenn Dir alle anderen sagen, dass es nicht funktionieren kann.
Besonders hart ist dies in schwierigen (Poly-) Momenten, z.B. Trennungen: Während niemand das Scheitern einer monogamen Beziehung auf das Beziehungsmodell "Monogamie" beziehen würde, ist dies doch ein häufiger Anlass für das (sonst vielleicht sogar sehr tolerante) Umfeld nun doch darauf hinzuweisen, dass man ja spätestens jetzt sieht, "dass das Ganze nicht funktioniert".
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Susann Dietzmann
Systemische Therapeutin (SG) & Dipl.Wirt.Psychologin (Fh)
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