Es ist eine Art, Beziehung zu leben, neben vielen anderen...
Es ist ganz individuell verschieden, wie wichtig bestimmte Facetten einer Beziehung für das eigene Lebenssglück sind. Von diesen ganz persönlichen Kriterien ist es abhängig, für welches Beziehungsmodell man sich entscheidet. Es ist eine Wahl! Je bewusster, eben auch unter Berücksichtigung der schwierigen Seiten des Konzeptes, wir diese Entscheidung treffen, desto eher werden wir zufriedene polyamore Beziehungen führen. Es ist eben nicht "die beste" oder "höchste Beziehungsform" wie einige unterstellen, sondern eben eine Art, Beziehungen zu leben, mit schönen und schwierigen Aspekten, neben vielen anderen ebenso großartigen Beziehungskonzepten.
In Gruppendiskussionen zum Thema Polyamorie werde ich häufig gefragt: "Ist das nicht mega anstrengend???" Die ehrliche Antwort ist: "Ja, das ist es!"
Das sind meine ganz persönlichen Gründe polyamor zu leben - die muss nicht jede*r Poly teilen. Wichtig ist nur, dass es nicht darum geht, sich in etwas hineinzupressen, dass andere als ideal oder spannend ansehen, sondern dass man selbst dieser Lebensweise etwas abgewinnen kann. Sonst kann die Komplexität des Modells erdrücken und überfordern.
Ein System wird automatisch komplexer je mehr Teile es beinhaltet. In einem Beziehungssystem (im Vergleich zu einem technischen System zum Beispiel) wird es noch schwieriger, da die einzelnen Teile nicht unveränderlich sind. Es sind eben Menschen, die nicht immer rational und berechenbar "funktionieren", sich verändern, ihre eigenen Voraussetzungen (Vorerfahrungen, Geschichte, Ängste, Traumata) mitbringen. Auch sind die einzelnen Beziehungen, die in einer polyamoren Konstellation geführt werden, nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig.
Erwartet man, dass alles sich in ruhigen berechenbaren Bahnen abspielen wird, Eifersucht keine Rolle spielt oder die Gesamtkonstellation keinen Einfluss auf die individuelle Beziehung hat, kann man nur enttäuscht werden. Machen wir uns dagegen auch die nicht so einfachen Aspekte bewusst, können wir Lösungen entwickeln, die uns die Komplexität reduzieren lassen und uns im Umgang mit Schwierigkeiten weiterhelfen.
Polyamor zu leben ist ein fortwährender, langfristiger Prozess mit Höhen und Tiefen, darauf sollte ich mich einstellen. Viele der Entwicklungsschritte, die wir in so einer Konstellation machen, dauern Monate und Jahre. Sie sind aber dafür umso nachhaltiger und zahlen sich häufig auch in unserem restlichen Leben aus (Selbstwertgefühl, Kommunikationsvermögen, Konfliktlösekompetenzen, Emotionsregulierung).
Es geht darum, sich alle Aspekte des Modells bewusst zu machen. So kann man sich damit anfreunden, dass dieses oder jenes eben dazu gehört und zweifelt nicht permanent an sich selbst, weil irgendetwas anders läuft als erwartet.
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Gib Dir Zeit dafür, es kennenzulernen und auch schlechte Erfahrungen damit zu machen. Man ist nicht als Super-Poly geboren, man macht Fehler, lernt auch mal die falschen Menschen kennen (ja, es gibt auch nicht so tolle Polys ;-)) und schließlich ist es eine Art, Beziehungen zu führen, die uns keiner beigebracht hat! Da werden doch wohl ein paar Fehler, Unsicherheiten, Ängste, Wut usw. erlaubt sein, ohne gleich alles hinschmeißen zu müssen. Lasst Euch dabei nicht von Euren Partner*innen unter Druck setzen, sondern findet Euer eigenes Tempo (bzw. zur Not auch andere Partner*innen).
Nicht Ihr seid das Problem, sondern es ist wirklich ein komplexes Thema!
Susann Dietzmann
Systemische Therapeutin (SG) & Dipl.Wirt.Psychologin (Fh)
Bernhardstraße 22a
04315 Leipzig
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